Die Liebfrauenkirche ist die alte Rats- und Marktkirche Bremens und steht mitten im Herzen der Stadt direkt neben dem Rathaus. Der Vorgängerbau der heutigen Liebfrauenkirche wurde als erste Pfarrkiche Bremens außerhalb des umfriedeten Dombezirks im 11. Jahrhundert errichtet und war zunächst St. Vitus geweiht. Der Neubau im 12. Jahrhundert, von dem u.a. noch der ehemalige Beinkeller des Liebfrauenkirchhofs und der alte (kleinere) romanische Südturm erhalten ist, wurde dann unter den Schutz der Jungfrau Maria "Unser Lieben Frauen" gestellt. Die heutige Kirche wurde als frühgotische Hallenkirche im 13. Jahrhundert gebaut, als der bis dahin einzige Pfarrsprengel Bremens in vier neue Gemeindebezirke aufgeteilt wurde. Jahrhundertelang war diese Kirche ein Raum, in dem nicht nur sonntags, sondern täglich Gottesdienste stattfanden. Gleichzeitig war sie im Mittelalter auch ein Treffpunkt und Versammlungsort für alle Bürger und unterschiedliche Bürgergruppen. Entsprechend ihrer Funktion als Ratskirche ist die an das Rathaus angrenzende Südfassade der Kirche als Schauseite gestaltet. Gemeinsam mit dem Rathaus und dem Roland (beide gehören zum UNESCO Weltkulturerbe) bildet die Liebfrauenkirche ein einzigartiges architektonisches Ensemble.

Im zweiten Weltkrieg erlitt die Kirche schwere Schäden. Durch den Brand des Turmhelms griff das Feuer auf den Kirchenraum über und zerstörte die gesamte neugotische Innenausstattung.

Nach dem Wiederaufbau, der im Wesentlichen mit dem Einbau der neuen Orgel 1953 abgeschlossen war, bot der Innenraum ein äußerst nüchternes Bild. Der Nachhall war wegen der nun sehr sparsamen Ausstattung so stark, daß die Akustik weder für Sprache noch für Musik befriedigen konnte. Daher beauftragte die Gemeinde 1958 den Architekten Dieter Oesterlen mit der Neugestaltung des Innenraums.

Der gesamte Putz an Wänden und Gewölben wurde entfernt, an den nun steinsichtigen ziegelroten Wänden ist jetzt die Baugeschichte der Liebfrauenkirche aus 9 Jahrhunderten ablesbar. Die mutige Entscheidung des Architekten und der Gemeinde löste zunächst teils heftige Kritik von Bauhistorikern und Denkmalpflegern aus. Sie erwies sich aber als glückliche Voraussetzung für die weitere Gestaltung des Raumes mit den Glasfenstern von Alfred Manessier.

Pfingstfenster Foto: » occam

Für die 19 zum Teil ungewöhnlich großen Fenster legte Manessier zunächst einen Lichtplan fest, der mit der neuen liturgischen Ausrichtung des Raumes korrespondiert. Vier Fenster erhielten farblich und gestalterisch das Hauptgewicht: in der Ostwand des Chorraumes das Pfingstfenster als größtes Fenster der Kirche, ihm gegenüber das Marienfenster in der Rosette über der Empore, sowie zu beiden Seiten des Altars in den Stirnwänden der Seitenschiffe das Weihnachtsfenster im Norden und das Predigtfenster im Süden. Alle übrigen Fenster ordnen sich als farbige Lichtvorhänge unter. Die abstrakt gestalteten Fenster zeigen Mosaikstrukturen in leuchtenden Farben, die von expressiven linearen Formen überlagert werden. Den vier Hauptfenstern liegen jeweils Bibelverse zugrunde, die dem Künstler als Inspirationsquelle dienten. Manessier legte Wert darauf, daß die Inhalte zwar nicht aus seinem Werk herauszusehen sind, der Betrachter aber gleichwohl in Kenntnis der Inhalte dem Künstler auf dem Weg in sein Meditieren folgen kann. Indem die vier Hauptfenster verschiedene Aspekte der Verkündigung des Wortes Gottes thematisieren, sind sie inhaltlich miteinander verbunden.

Das Weihnachtsfenster zeigt das in Jesus Christus Mensch gewordene Wort Gottes („Das Wort ward Fleisch“ Joh. 1,14). Im Pfingstfenster wird das Sprachwunder versinnbildlicht, das die Kirche erschafft (Apg.2). Das Predigtfenster thematisiert das heute gepredigte Wort („Wir sind Botschafter an Christi statt“ 2. Kor. 5,20). Das Marienfester bezieht sich auf die Verkündigung der Geburt Jesu Christi in der Weihnachtsgeschichte des Lukas: („Maria behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“ Lk 2,19).

RoseFoto: Peter Schmaltz

Die Entscheidung der Gemeinde für die abstrakten, farbigen Fenstermosaike war und ist ein deutliches Bekenntnis zu einer gegenwartsbezogenen Neuinterpretation des mittelalterlichen Kirchenraumes. Und doch stellt sich durch das farbige Licht eine Raumsituation ein, wie sie auch in vielen Kirchen mit original mittelalterlichen Fenstern beobachtet werden kann: die Fenster sprechen den Betrachter mit vielfältigen Aussagen im Detail an, drängen sich aber als ganzes nicht auf, sondern hüllen den Raum in eine farbige Sphäre und heben ihn aus der Alltagswelt heraus. Der Wechsel der Lichtsituation im Wandel des Tages, des Jahres und des Wetters läßt den Raum immer wieder in neuen Variationen aufleuchten. Alfred Manessier selbst sah seine Fenster ganz als Diener der Verkündigung: „Man sollte nicht vergessen, daß die Fenster streng genommen keine Kunstwerke sind. Sie sind »Teil des Ganzen«. Sie sind »im Dienst« genau wie die Musik, die Lieder und das Wort an diesem Ort.“

Pfeiler Foto: Helga Landwehr
Chorraum Foto: Helga Landwehr
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